
Frostige Eiseskälte, endlose Sonnenstunden und gottgleiche blonde Gestalten – die skandinavischen Stereotype setzen sich aus einem Mischmasch von Tatsachen und Übertreibungen zusammen. Und diese begeistern: Laut der Tourismusanalyse der Stiftung für Zukunftsfragen stand Skandinavien im Jahr 2018 auf Platz 5 der beliebtesten Auslandsreiseziele der Deutschen. Nicht zuletzt hängt diese enge Verbundenheit zu den nordischen Nachbarn mit den historischen Beziehungen Skandinaviens zum Norden Deutschlands zusammen. Die geschichtlichen und geographischen Besonderheiten der drei Nordländer prägen deren Kultur und Moderne in einem faszinierenden Ausmaß. Wenn es auch kaum möglich ist, die Schönheit dieser Gebiete in einen kurzen Text zu fassen, folgt hier ein rundum Skandinavien-Guide für Reiselustige und Skandinavien-Einsteiger.
Skandinavien: ein Name, viele Bedeutungen
Fragt man willkürlich uneingeweihte Deutsche nach einer Definition für “Skandinavien”, so erhält man die unterschiedlichsten Antworten: Schweden und Norwegen gehören mit Sicherheit dazu – war’s das schon? Ach nee, Finnland gibt’s ja auch noch, vielleicht noch Island… und dann wäre da noch Dänemark! Tatsächlich ist es gar nicht so einfach, eine einheitliche Konkretisierung aufzustellen, da sich die Bedeutung des Begriffs historisch vielfach gewandelt hat. Die ursprüngliche skandinavische Region bestand aus Schleswig-Holstein, Norwegen, Schweden und Dänemark. Aus dem Jahre 77 n.Chr. ist die Bezeichnung „Scandia“ überliefert, die mehrere Jahrhunderte lang als Synonym für Skandinavien galt; allerdings beschrieb Pliny der Ältere Scandia als eine Insel nördlich von Britannien, wodurch die Begriffe verworren wurden. Die fälschliche Assoziation mit Finnland folgt aus dem historischen Kontext, in welchem Finnland ursprünglich zu den vier Mitgliedern des schwedischen Reichs gehörte und erst im Jahr 1809 von Schweden abgetreten wurde.
Mittlerweile existiert eine allgemeingültige Definition des Wortes „Skandinavien“: Lediglich die drei Länder Schweden, Norwegen und Dänemark zählen offiziell zu der Region.
Auch die genaue Bedeutung des Wortes „Skandinavien“ ist bis heute ungeklärt. Forscher vermuten eine Zusammensetzung der Worte Skaðan und awjō – ersteres assoziiert mit dem Deutschen „Schaden“ oder ins Moderne übersetzt „Gefahr“, und letzteres als Wortendung für „Insel“ (Land im Wasser/Aqua). Skandinavien ist also eine Gefahreninsel. In Zeiten der Industrialisierung sieht es in der nördlichen Region nicht mehr ganz so gefährlich aus, wobei die Herkunft der Bezeichnung doch ihre Spuren hinterlassen hat.
Im Folgenden verwenden wir die offiziell gültige Definition und behandeln also nur die drei Länder Dänemark, Schweden und Norwegen.
Märchenhafte Lande von Schnee und Sonne
Wer bei den Reisevorbereitungen für den Aufenthalt in Skandinavien kugelrunde Daunenjacken und fünf Zentimeter dicke Skimützen einpackt, sollte vielleicht doch noch einmal einen genaueren Blick auf die geographischen Wetterverhältnisse werfen. Sicher, es gib Regionen in denen zur Winterzeit minus zwanzig Grad herrschen. Das kleine Sami-Dorf Nikkaluokta im äußersten Norden Schwedens liegt neun Monate des Jahres unter Schnee begraben, im „Sommer“ beträgt die Durchschnittstemperatur etwa 10°C. Auf der Höhe Oslo-Stockholm kann es im Sommer jedoch durchaus heiß werden – und dazu für Deutsche ungewohnt schwül. Dagegen wird es auch in der Klimaregion der beiden Hauptstädte im Winter kalt. Für Norddeutsche sollten sich die südlichen Gebiete Schwedens sowie die Westküste Norwegens und ganz Dänemark zumindest wettertechnisch wie zu Hause anfühlen.
Doch Skandinavien wäre nicht das europäische Naturwunder, wenn es nicht jedem Sterblichen mit seinen bezaubernden Landschaften von Fjorden, Moränen und Bergen den Atem rauben würde. Laut einer Wikipedia-Liste perlen fünf der fünfzehn höchsten Wasserfälle weltweit entlang norwegischer Klippen, davon der höchste mit Namen Vinnufossen in Sunndal.
Überhaupt ist Norwegen als nördlichstes Land Europas eine einzige Märchenkulisse. Wer von der wahren Schönheit der Natur zu Tränen gerührt werden will, der verbringt auf der Inselgruppe der Lofoten genug Zeit damit, sein feuchtes Taschentuch auszuwringen. Neben Wanderern, die entlang der unzähligen Fjorde die Berge besteigen, haben auch Winter-Surfer die wunderschönen Strände des Fischerdorfes Unstad für sich entdeckt. In der allzu traumhaften Szenerie leuchten hier und dort Zeichen der Zivilisation auf: An vorzeitlichen hölzernen leiterartigen Gestellen, von den Norwegern als Fiskehjeller bezeichnet, trocknen Streifen von Kabeljau im Nordwind vor sich hin. An den Holzwänden verlassener Fischerhütten beugen sich riesige Mädchen über Fliegenpilze und verewigen den Einzug der urbanen Kunst auf die Lofoten durch die Straßenkünstler Dolk und Pøbel, die ihre Wege durch die Fjorde gefunden haben.
Vereint wird der industrielle Charme Dänemarks mit den atemberaubenden Naturschönheiten Norwegens im sowohl flächenmäßig als auch einwohnerzahltechnisch größten der drei skandinavischen Länder: Schweden. Die fortschrittliche Infrastruktur reizt den Forschergeist zur Erkundung der rund 24 000 Inseln und Halligen des Stockholm-Archipels an. Weiter südlich vermischen sich dänisches Flachland und weite schwedische Landschaften zu nimmer enden wollenden Stränden. Das nördliche Viertel Schwedens wird von der Heimat des einzigen skandinavischen Urvolks, den Sami, eingenommen. In Lappland grenzt ein Naturpark an den nächsten, mit gigantischen knapp 2000km² großen Anlagen wie Padjelanta und über hundert Jahre alten Nationalparks wie dem Sarek. Zwischen 1800m hohen Gipfeln erleuchtet die Aurora borealis eine vergleichsweise reiche Flora.Die Dänen hingegen rühmen sich äußerlich nicht allzu laut ihrer Küstenlinie. Sicher, im Schatten von Polarlichtern und Mitternachtssonne mag der raue Seegang zunächst nicht ganz so spektakulär klingen, doch Segler und Wassersportler finden im flächenmäßig kleinsten skandinavischen Land das ganze Jahr über Beschäftigung. Gerade das Flachland bringt verschlafene Städtchen wie Svendborg an Dünen und Stränden hervor. Das 2012 als glücklichstes Land der Welt gekrönte Dänemark (2015 nur noch auf Platz 3 hinter Island und der Schweiz, dicht gefolgt von Norwegen auf Platz 4 und Schweden an achter Stelle) ist eine besonders geeignete Destination für Skandinavien-Interessierte, die nicht auf das urbane Flair verzichten möchten.
Stille Gefährten auf eisigen Wegen
Die deutsche Gesinnung wandelt sich entlang des zehnten Längengrades gewaltig: Von der lauten oberbayerischen Lebenslust über den ehrlichen Kasseler bis hin zur Kälte der Ostfriesen scheinen die Deutschen die grundsätzlichen Mentalitätsunterschiede von Süd nach Nord in einem Volk zu vereinen. Die Verschlossenheit, mit welcher der Norden oft in Verbindung gebracht wird, entwickelt sich in den skandinavischen Ländern zu einer fremdartigen Schüchternheit. So jedenfalls beschrieben es zwei Allgäuer Studenten, die das Privileg genossen, ein Auslandsjahr in Norwegen bzw. Schweden zu verbringen. Oft liegt hier jedoch ein Missverständnis zugrunde: Wenngleich der Durchschnittsskandinavier den Neuen mit anfänglichen Berührungsängsten misstrauisch begutachtet, bedeutet das Geschenk nordischer Kameradschaft eine ewig andauernde Freundschaft. Doch dies ist natürlich eine maßlose Verallgemeinerung dreier völlig unterschiedlicher Mentalitäten, die sich gegenseitig nur schwer verstehen, wenngleich die Sprachen sich ähneln mögen (Allerdings muss auch hier unterschieden werden: Während die Norweger aufgrund ihrer Dialektvielfalt und zweier unterschiedlicher Schriftsprachen relativ problemlos sowohl die dänische als auch die schwedische Sprache verstehen können, haben die Stockholmer und die Kopenhagener oft größere Schwierigkeiten, sich gegenseitig zu verständigen). So fremdeln die dänischen Freigeister mit der schwedischen Korrektheit und vice versa. Der deutsche Tourist wird in Dänemark gezwungen, seine Vorurteile über die skandinavische Verschlossenheit zu überdenken. Die dänische Offenheit, Gelassenheit und Lebenslust widersprechen dem Stereotyp nordischer Kälte, ein warmherziges und doch unverblümtes Sozialverständnis erleichtert den Kontakt zu Einheimischen ungemein. Es ist also nicht verwunderlich, dass die Schweden den Dänen etwas distanziert und langweilig erscheinen. Nicht zuletzt hängt dieser Unterschied auch mit der dänischen Verbindung zum Festland zusammen. Die Norweger halten sich heraus aus dem Konflikt und ziehen sich still in ihre Holzhüttchen zurück. Tatsächlich scheint es in Norwegen besonders schwierig zu sein, neue Bekanntschaften zu schließen, doch wer sich einen Norweger zum Freund macht, der hat in ihm einen langjährigen Weggefährten gefunden.
Glück hat seinen Preis
Seit der ersten Veröffentlichung des World Happiness Reports im Jahre 2012 standen die skandinavischen Länder immer in den Top 10 des internationalen Zufriedenheits-Rankings. Dies liegt unter anderem an der positiven subjektiven Zufriedenheitseinschätzung der Skandinavier, dem hohen BIP pro Kopf und den unschlagbaren Sozialleistungen. Doch wie es im Volksmund so schön heißt: Nichts ist umsonst. Seit 2010 führen die Skandinavier den Lebenshaltungskosten-Index als drei der fünfzehn teuersten Länder an (mit Ausnahme von 2015, als Schweden auf den siebzehnten Platz verwiesen wurde), und auch Touristen dürfen sich freuen: Das World Economic Forum hat 2015 Norwegen als fünftteuerstes Urlauberziel gelistet, dahinter auf Platz sieben Dänemark, direkt gefolgt von Schweden auf der Acht. Die internationale Datenbank Numbeo schätzt, dass der durchschnittliche Backpacker in Oslo mit 85,30€ täglicher Ausgaben rechnen muss; der Geschäftsreisende sollte sich auf 328,78€ einstellen. Für ein 0,33l Importbier zahlt man in einem Osloer Restaurant schon mal 9€.
Die Skandinavier haben mit den Kosten einer mustergültigen Sozialstruktur zu leben gelernt. Etwa ein Mal pro Monat machen sie sich auf den Weg in günstigere Länder, um sich mit Lebensmittelrationen einzudecken. Die Kette läuft dabei kontinuierlich vom teuersten zum günstigsten Land: Die Norweger kaufen bei den Schweden ein, die Dänen bei den Schweden oder wie die Schweden bei den Deutschen.Die teils frivolen Preise Skandinaviens sind allerdings gut begründet: Einerseits verlangen die beispielhaften Sozialleistungen der Region von den Bürgern entsprechende Abgaben, die Tarifbindungen der Arbeitgeber treiben die Dienstleistungs- und Produktpreise weiter nach oben. Zur Unterstützung lokaler Artikel erhöht der Staat zusätzlich die Preise importierter Güter.
Für jemanden, der mit knappem Budget reist und trotzdem günstig Skandinavien erleben will, ist es wohl ratsamer, sich zunächst in Schweden oder Dänemark umzusehen und vorerst von den Hauptstädten abzusehen – schließlich sind die grandiosesten Anblicke sowieso in den Naturgebieten außerhalb der urbanen Regionen zentriert.
Pikante Preiselbeeren, exquisites Smørrebrød und norwegische Kit Kats
Die ersten Assoziationen, die vielen Deutschen zu den Schweden einfallen, beinhalten meist das erfolgreiche Möbelhaus in Nationalfarben, die revolutionäre Disco-Hit-Gruppe der 70er und das weltweit bekannte Fleischgericht: Köttbullar. Doch die schwedische Küche hat deutlich mehr zu bieten als kugelige Frikadellen: Für Feinschmecker ist sie durch ihren besonderen Fokus auf kontrastreiche Noten eine Neuentdeckung. Eine pikant-süße Preiselbeer-Soße wird zu vielen traditionellen Fleischgerichten gereicht – unter anderem eben auch zu Köttbullar mit Kartoffelpüree. Da die Schweden historisch bedingt nur spärlich würzen und viele ihrer Gerichte neben Fisch auch gewichtiges Fleisch enthalten, nutzen sie die Beere als frisches Universalwürzmittel. Überhaupt scheinen die Schweden süße Speisen zu schätzen. Zuckriges Hefegebäck, Kuchen und Kekse werden traditionell mit dem Fika, dem Nachmittagskaffee, serviert.
Die norwegischen Nachbarn haben ihren Beitrag zur internationalen Cuisine mit dem Export des vorzüglichen geräucherten Lachses geleistet. Für den Touristen mag die norwegische Tendenz zum Fleisch zunächst überraschend kommen, doch nach einigen Tagen gewöhnt er sich an gepökelte Lammkeulen (Fenalår) und geräucherte Wurst (Morr). Leider kommt kein Bericht über norwegische Spezialitäten ohne die Erwähnung von Walfleisch aus, welches bis heute von den Norwegern zu besonderen Anlässen als Delikatesse verspeist wird. Innerhalb des Landes gilt dies nicht als kontrovers, Diskussionen über ethische Bedenken werden nicht gut aufgenommen. Weniger bedenklich, jedoch für das authentische Wandererlebnis in Norwegen unerlässlich ist der Kvikk Lunsj – ein Schokoriegel, der aufgrund seines Aussehens von unwissenden Außenstehenden gern fälschlicher Weise mit dem amerikanischen Kit Kat verglichen wird, was jedoch nach dem ersten Bissen sofort revidiert werden sollte.
Aufgrund seiner geographischen Lage gilt Dänemark auch im Bereich der traditionellen Küche als interkontinentaler Vertreter der Skandinavier. Immerzu inspiriert von internationalen Einflüssen entwickelten dänische Köche als Teil der neuen skandinavischen Küche die neue dänische Küche. Gourmetspezialitäten lehnen sich an den geschichtlich bewährten reichen Einsatz unterschiedlicher importierter Gewürze wie Zimt, Kardamom, Muskat und schwarzen Pfeffer. Während sich im Ausland dänische Exportbiere wie Carlsberg und Tuborg einen Namen gemacht haben, etabliert sich importierter Wein seit den 60ern zunehmend unter den Einheimischen.
Das europäische Zauberland
Setzt man seinen Fuß zum ersten Mal auf skandinavisches Gebiet, so scheint alles zu stimmen: die Natur, die Menschen, das Essen. All die magischen Orte, die andersartigen Leute, sie formen die märchenhafte Heimat mystischer Kreaturen wie dem skandinavischen Weihnachtsmann Tomte. Besondere Urlaubsdeals für Skandinavien können die hohen Reisekosten ausgleichen, damit auch wirklich jeder wenigstens einmal in seinem Leben das Paradies des Nordens selbst erleben kann.
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